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Eugen Rosenstock-Huessy: Apologie der Grammatischen Methode (1935/1955)

NOTIZ DES ÜBERSETZERS

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Kardinal Newman schrieb 1865 die Apologia pro vita sua, um den Übertritt aus der anglikanischen und die römisch-katholische Kirche zu erzählen und zu rechtfertigen. Weil ich meine, daß Rosenstock-Huessy, als er mit 45 Jahren (Newman´s Konversion war im Oktober 1845, also im 45. Lebensjahr) nach Amerika eingewandert war, entblößt von der seit dem Zusammenbruch am 9. November 1918 empfangenen Aufgabe, Friedenserfahrung zu schaffen, die erst das Gehör für sein Lebenswerk schaffen könnte, an dieses Ereignis im Lebensalter Henry Newman´s und die Schrift, die zwanzig Jahre später erschien, 1865, anknüpfen wollte, habe ich In Defense of übersetzt mit dem lateinisch-griechischen Wort Apologie. (Die zwanzig Jahre zwischen 1845 und 1865 kehren sogar wieder, indem Rosenstock-Huessy seine Schrift zwanzig Jahre später, nämlich 1955, noch einmal vornahm und ergänzt hat.)

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Merkwürdig genug, daß dieser Eckstein seiner Biographie: wie erkläre ich mich den Theologen und Akademikern in Amerika, ehe ich mit der Lehrtätigkeit im Sinne der grammatischen Methode am Dartmouth College beginne – nicht in das Sprachbuch Die Sprache des Menschengeschlechts, eine leibhaftige Grammatik in zwei Teilen von 1963/64 gelangt ist. Erstmals veröffentlicht 35 Jahre nach der ersten Niederschrift in der Trias der ersten Bücher des Verlages Argo Books, die Clinton Gardner trug, in Speech and Reality, 1970, S. 9-44 als Chapter 1. (Aus diesem Buch kamen ins Sprachbuch:

mithin alle sechs Kapitel (für das Sprachbuch übersetzt und bearbeitet) – nur das erste nicht. Gab es noch keine Übersetzung?)

Im Vorwort zu Speech and Reality schreibt Clinton Gardner: The essays in this book do not follow one another in any logical scheme except that the first chapter is the most all- embracing statement of the theme. Die Aufsätze in diesem Buch folgen keinem begründbaren Plan, außer daß das erste Kapitel das Thema am umfassendsten darstellt.

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Herausgegeben von Rudolf Hermeier erschien die Apologie von 1935 unter dem Titel: In Verteidigung der grammatischen Methode (1939/1963? – also falschen Daten) S. 287- 326 in: Friedensbedingungen einer Weltwirtschaft. Aus dem Englischen übersetzt von Anna Siemsen; teilweise vom Autor durchgesehen, doch offensichtlich in nicht-druckfertiger Weise, deshalb nochmals vom Herausgeber überarbeitet.

In dem Band 14 der Arnoldshainer Schriften zur Interdisziplinären Ökonomie mit insgesamt 16 Beiträgen ist die Verteidigung der grammatischen Methode der einzige aus dem Englischen übersetzte, der einzige aus den Jahren 1933 bis 1950, als Eugen Rosenstock-Huessy sein Wirken in Deutschland persönlich redend und veröffentlichend wieder aufnahm. Und wie seltsam der Umgang mit diesen 17 Jahren ist, zeigt der Passus in dem Lebenslauf, den Rudolf Hermeier beifügt.

Dieser ist in vier Abschnitten vorgetragen:

  1. Als Christ aufgewacht
  2. Als Gewandelter 1918 heimgekehrt und fortan gelebt
  3. Als Teilnehmer am Mahle des HERRN zum Exodus bereit
  4. Als Argonaut den Weg ins 3. Jahrtausend gewiesen

Und der Abschnitt 3 lautet:
1960 sagte Rosenstock in Heidelberg: Das Abendmahl „ist ein Haushaltsvorgang, in dem sich die Menschen mit Kräften ausrüsten lassen von einer bekannten Vergangenheit, einer geliebten und vertrauten Vergangenheit für eine den Tod bewältigende Zukunft“. In der Bereitschaft, zur rechten Stunde die geliebte Heimat zu verlassen, kann also ein Kriterium für die wirksame Teilnahme am Mahle des HERRN gesehen werden. Rosenstock sprach aus einer bewährten Einsicht heraus. Er hatte 1919 ein „Lügenkaisertum“ vorausgesagt und dann nach Kräften versucht, sein Kommen zu verhindern – insbesondere hatte er auch scharf den ab Mitte der zwanziger Jahre immer stärker ins Kraut schießenden Führerkult bekämpft. Die sogenannte „Machtergreifung“ 1933 empfand er als „Besiegter“ und als Freigesprochener. Sein Antrag auf vorübergehende Schließung der juristischen Fakultät in Breslau fand nicht die notwendige Unterstützung. Er entschloß sich zur Auswanderung nach Amerika.

Mir kommt es so vor, als wäre in der Weigerung den Namen vollständig zu nennen: Rosenstock-Huessy die Kälte zu spüren, mit der der tatsächlich erzwungene Bruch in dem Lebensatem 1933 und die tatsächlich durch neuen Aufbruch in Amerika bezeugte Kraft übergangen ist, zugedeckt mit einem Wort-Credo (Goethe, Kampagne in Frankreich, 30. August 1792), das in die Formen landeskirchlicher Abendmahlspraktik zurückweist, um dann selber – als frommer Mit-Christ - gut dazustehen (Rudolf Hermeier lebte vom 1. Dezember 1929 bis zum 4. August 2009, war also im 16. Lebensjahr, als der Hitler-Wahn zusammenbrach).

Und diese Kälte wirkt auch in der von Anna Siemsen verfaßten und wie immer bearbeiteten Fassung der Apologie der grammatischen Methode.

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Die vorliegende Übersetzung versucht, das Unerhörte des Aufatmens nach der Zerstörung der deutschen Sprache durch Hitler, das Finden einer neuen Sprache zu neuem Aufbruch sowohl in die Vergangenheit wie in die Zukunft getreu wiederzugeben, so daß dieses Bekenntnis in der Lebensmitte seinen Rang bekommt, daß es sowohl nach rückwärts wie nach vorwärts, nach innen wie nach außen balancierend spricht. Das heißt – um mit dem Aufsatz zu reden – Frieden schließt.

Nach rückwärts: Rosenstock-Huessy weckt Verständnis dafür, warum die Jugend in Deutschland die alten Lehren nicht hören konnte, er gibt dafür die Zeitspanne 1914 bis 1923 an, es mangelte ihr an der Erfahrung des Friedens, ohne die kein Gehör für Sozialwissenschaft zu erwarten ist.

Nach vorwärts: Rosenstock-Huessy ruft alle Intellektuellen auf dem Planeten Erde dazu auf, die grammatische Methode als Schwerpunkt zukünftigen Wirkens zu üben.

Nach innen: Rosenstock-Huessy spricht zu den wirklichen Kollegen und Studenten am Dartmouth College, wo er von 1935 bis 1957/58 gewirkt hat.

Nach außen: Rosenstock-Huessy fordert die ganze Welt der abendländischen Hochschule heraus, indem er zum Friedensschluß zwischen Scholastik, Akademik und Argonautik (so nennt er das Wirken nach der grammatischen Methode) aufruft – und ohne solchen Friedensschluß zwischen den Fakultäten müsse die Wirksamkeit der Hochschulbildung im ganzen verfallen, weil das Vertrauen der Studenten verlorenginge, daß dort etwas Wichtiges zu lernen wäre.

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Die vier genannten Aspekte durchdringen die ganze Darstellung. Um sie deutlich zu machen, habe ich den Text der sechs darstellenden Teile in Kapitel mit einer von mir hinzugefügten Überschrift, Abschnitte (mit römischen Ziffern I-IV), Absätze (mit arabischen Ziffern 1-4 und Absätze) gegliedert. Dadurch wird der Leser „aufhaltsam“, bekommt Zeit, die Wendungen der Aspekte mitzuvollziehen.

Ergänzend dazu:

Inhaltsverzeichnis (für den Leser, der vorher nichts gelesen hat, der präjektive Teil des Zur-Kenntnis-nehmens),

Namensverzeichnis (das zeigt, welche Namen bei den Lesern als bekannt vorausgesetzt werden, also Zusammengehörigkeit bezeugen),

das Notieren der Geschichten, die von Erlebtem erzählen, wofür der Sprecher bürgen kann, zeigt den trajektiven Teil der Rede an, der auf das Erlebte zurückweist, die Merksätze – ähnlich wie die Thesen im siebten Teil – stellt die Sätze heraus, die auch über das Verfolgen der Darstellung hinaus, also gewissermaßen außen, Aufmerksamkeit beanspruchen dürfen.

Die grammatische Methode gliedert – nach meiner Darstellung – das Entstehen der Rede schon im Augenblick des Niederschreibens (in der Vorstellung, es wären wirkliche Menschen zu einem wirklichen Zeitpunkt da, denen die Darstellung gilt).

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Englische und deutsche Satzmelodie sind verschieden, und deshalb wirkt es nur bleiern, wenn die englischen Sätze fast modulationslos übersetzt werden, indem der englische Satz Wort für Wort abgetrottet wird. Deshalb habe ich die volle Beweglichkeit innerhalb der Sätze in Anspruch genommen.

Ähnliches gilt für die Wortwahl: der Schreiber setzt – in diesem Stück – Lateinkenntnis voraus, richtet sich also an Leser mit solcher Vorbildung. Und die englische Sprache besteht in solchem Maße aus Wörtern lateinischer Herkunft, daß das Konzise lateinischer Formulierung auch bei englischen Texten zu gespannter Aufmerksamkeit auffordert. Bei der Übersetzung ist daher – so meine ich – darauf zu achten, daß sich die Sätze nicht überstürzen. Wechsel von Konstruktionsformen (Aktiv/Passiv – Partizipialkonstruktion/ Nebensatz), Einfügen von vermittelnden Konjunktionen oder Teilnahme heischenden Wörtchen wie wohl, ebenso, ja usw. erleichtern hoffentlich die Lektüre.

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Über eine Schwelle freilich muß der Leser gelangen, die das ganze Stück zusammenhält, nämlich das Bekenntnis, daß es bei allen drei Formen der abendländischen Hochschule darum geht, der Allgegenwart Gottes zu begegnen (S. 70). Eben auf drei ganz verschiedene Weisen.

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Der Übersetzer ist im Jahre 1942 geboren, teilt also mit den Jahrgängen, die die Jahre 1914 bis 1923 als prägend erlebt haben, den Mangel an Friedenserfahrung.

In mehr als fünfzig Jahren Lehrtätigkeit in der Andragogik (1968-2000 an der Volkshochschule Köln, seither in privat weitergeführten Kursen zu Musik, Literatur und Bildender Kunst, seit 2005 als Vorstandsmitglied in der Eugen Rosenstock- Huessy Gesellschaft) habe ich die grammatische Methode bestätigt gefunden: und wie die bis 1914 vorausgesetzten Friedenserfahrungen in Kirchengemeinde, Konzertsaal, Universität, Familie, Beruf usw. gefährdet sind und nur dadurch das Gehör herbeikommt, daß das Lehren ohne Prüfungsziel geübt wird.

Köln, 29. August 2019
Eckart Wilkens

Eckart’s Übersetzung

Das Orginal „In Defense of the Grammatical Method (1939 and 1955)” ist Teil des PDF-Scan